"WALSER, VOLK DER ALPEN" - Beitrag aus 2009
von Luis Thomas Prader
Wer kennt die Walser?
In Südtirol sind die Walsersprachinseln eher wenig bekannt, zu weit entfernt liegen sie von den uns üblicherweise bekannten Sprachinseln wie Bersntol, Lusern und Kanaltal. Sie liegen im Westen, verstreut auf mehreren Staaten, dort wo Gletscher und Berge besonders hoch sind. Walsersiedlungen auf 1500 Meter, und auch darüber, sind somit keine Seltenheit. Die Walser leben wirklich mitten in den Alpen, in Vorarlberg, in Liechtenstein, in der Schweiz, in Italien, in Frankreich.
Walserwanderung und Walsergemeinden
Alemannische Siedler waren im 8./9. Jahrhundert n. Chr. an den Oberlauf der Rhone, in den heutigen Kanton Wallis, gekommen. Hier kann man den Ausgangspunkt der späteren Walserwanderungen ab dem 12. Jahrhundert in alle Himmelsrichtungen orten. Die damals einsetzende Auswanderungswelle darf sicher nicht als eine große Völkerwanderung gesehen werden, sondern vielmehr als ein Neben- und Nacheinander von Wanderungsbewegungen.
Die Verstreuung der Walser auf fünf Staaten führte dazu, dass es heute zahlreiche Walsergemeinschaften und -gemeinden gibt. Allein in Vorarlberg und der allernächsten Umgebung werden 19 Walsergemeinden aufgezählt. Erwähnt seien hier das Kleinwalsertal, Galtür in Tirol sowie Triesenberg im Fürstentum Liechtenstein. Die Walser waren nach Westen gezogen: Das Dorf Vallorcine liegt in Frankreich, ganz nahe an der Grenze zur Schweiz. Es wurden einige Walserkolonien gegründet und die Bezeichnung „Les Allamands“ ist immer noch erhalten. Zwar ist dort die Walsersprache schon seit langem verloren gegangen, das Walserbewusstsein ist aber immer noch wach. Die Walser waren nach Süden gezogen, vor allem in das Gebiet des heutigen Italien. Heute finden wir die Walser, auch Südwalser genannt, als deutsche Sprachinseln am Fuße des Monte Rosa.
Aus der Wanderbewegung ostwärts bzw. südostwärts haben sich das Walserdorf Obersaxen und andere Gemeinschaften in Graubünden herausgebildet. Zu erwähnen sind auch das Dorf Bosco Gurin, auf 1500 Meter im Tessin gelegen und heute weniger als 100 Einwohner zählend. Rund um das Monte-Rosa-Gebiet, aber in der Schweiz gelegen, sind die Ortschaften Zermatt („zur Matte“) und Brig zu erwähnen. Die Wanderbewegung in Richtung Norden setzte erst später ein, vermutlich an der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert. Aus dieser Zeit stammen unter anderem Triesenberg, das Klein- und Großwalsertal sowie Galtür. Aufgrund ihrer Siedlungsgebiete können die Walser somit zu Recht als „Volk der Alpen“ bezeichnet werden. Die Ursachen für die Auswanderung liegen im Dunkeln. Es wird vermutet, dass eine vorübergehende Trockenperiode mit daraus folgendem Rückgang der Ernteerträge mit ausschlaggebend gewesen sein könnte, aber auch Naturkatastrophen wie Bergstürze und Lawinenabgang am Fuße des Rhonegletschers könnten die Bewohner zum Fortziehen bewogen haben. Natürlich sind auch andere Beweggründe für die Abwanderung in Betracht zu ziehen: etwa die Suche nach besseren Lebensbedingungen, aber auch der Drang nach mehr Freiheit. Ähnlich wie bei den Tirolern ist auch bei den Walsern der Freiheitsdrang sehr ausgeprägt. In einer Abhandlung heißt es dazu unter anderem folgendermaßen: „Wo immer in jener Zeit aufgrund der Freiwilligkeit durch Rodung der Wälder, durch mühsame und entbehrungsreiche Arbeit neues Kulturland gewonnen und neue wertvolle Kulturen und Bauwerke geschaffen wurden, wurden diese Leistungen durch Gewährung von Freiheiten und Nutzungseigentum ermöglicht und belohnt.“ Die Walser entwickelten Techniken, die auch das Bewirtschaften von hoch gelegenen Bergregionen ermöglichten. Die Herrscher der betreffenden Gebiete förderten diese Besiedlung durch Steuerbefreiung und Vergabe besonderer Kolonialrechte. Den Walsern bot somit die Neuerschließung von Land von vornherein die Möglichkeit zur Befreiung aus der feudalen Leibeigenschaft. Aus dieser Zeit stammt demnach das so genannte Walserrecht, ein sehr weittragendes Recht.
Das Walserrecht
In der neuen Heimat genossen die Walser persönliche Freiheit, freie Erbleihe und eine Art Selbstverwaltung der Gemeinschaft. Die Walser hatten zwar für ihre Herren Kriegsdienste zu verrichten und einen jährlichen unveränderbaren Pachtzins zu zahlen, aber andererseits wurden die Walserrechte „an die Söhne und Töchter“ weitervererbt. Das Walserrecht ging sogar so weit, dass der Gemeinschaft eine eigenständige Gerichtsbarkeit für geringere und mittelschwere Vergehen zuerkannt war. Aus der Zeit der Gerichtsbarkeit kann man heute noch in der Kirche von Eischeme/Issime einen „Richterstuhl“ bestaunen. Es handelt sich dabei um eine Bank aus Nussbaumholz mit drei Sitzen, auf dem einst der Richter und seine beiden Berater Recht sprachen. Zudem sind Schwert und Schlüssel abgebildet, die Symbole der richterlichen Gewalt. Wegen ihrer eigenen Rechtsverfassungen wurden die Walser auch „Freie Walser“ genannt.
Der Große Walserweg und der Walserring
Wer die Vielfalt der Walsersiedlungen, der Walsersprachformen, der Trachten und Gebräuche näher kennen lernen möchte, dem sei die Begehung des Großen Walserweges angeraten, oder Teilen davon. Es handelt sich um Wandervorschläge quer durch Walsergebiete in den verschiedenen Ländern. Mancherorts lassen sich Walsereigenheiten an Siedlungsformen, an Hausbau, an landwirtschaftlicher Bebauung und der Walsersprache wiederfinden, andernorts ist es die alpine Landschaft, die bleibende Erinnerungen hinterlassen kann.
Gletschermassiv Monte Rosa – der Gourner
Das Walserdorf Alpenzù
Der Große Walserweg führt von Zermatt zu den Walsern in Italien, dann nordwärts bis ins Kleinwalsertal, oder umgekehrt. Der Weg ist in 30 Etappen unterteilt. Um ihn ganz zu begehen, wäre man mehrere Wochen unterwegs. Bis auf 3000 Meter Meereshöhe kann er hinaufführen, bis zu 1800 Meter Anstieg ist unter Umständen mit einzuplanen. Die einzelnen Etappen sind meist anspruchsvolle Tagesstrecken und setzen gute Bergerfahrung voraus. Ein etwas anderer Wandervorschlag wäre der so genannte Walserring. Zum Walserring gehört sowohl eine große Tour um den Monte Rosa – nur mit Bergführer zu machen – aber auch Wanderungen im Oberen Lystal, also rund um Gressoney, gehören dazu. Die Wanderungen rund um Gressoney sind thematisch ausgerichtet, je nach Vorliebe kann man die Walserarchitektur kennen lernen, die typische Vegetation, die karge Land- und Almwirtschaft.
Walsertrachten und -bauten, eine bunte Vielfalt
Wer in ein Walserdorf kommt, sucht unweigerlich nach Walsertrachten, nach Walserbaustil, nach Walsersiedlungsformen. Und jeder wird irgendwie fündig werden, er wird bunte Trachten zu sehen bekommen, alpine Baulichkeiten finden, viele Streusiedlungen antreffen. Der Besucher wird aber diese Vielfalt nicht in ein Standardschema von „typisch walserisch“ einordnen können. Weder bei den Trachten noch bei den Bauten gibt es eine einheitlich typische Walsertracht, ein einheitlich typisches Walserhaus; vielmehr gibt es eine bunte Vielfalt von Trachten, einen reichen Schatz an kunstvollen Bauwerken.
Zu den Walsertrachten ist zu sagen, dass sie sehr farbenfroh sind, sei es in der Stoffauswahl, sei es in Verzierungen. Zu vielen Walserfrauentrachten gehört eine Kopfbedeckung. Diese kann eine mit goldenem Filigran verzierte Haube sein, oder ein „Krönele“ oder ein imposanter Hut. Aber die Tracht in ihrer Vielfalt ist allemal ein Identitätsmerkmal jeder einzelnen Gemeinschaft. Die unterschiedlichen Baustile sind geprägt von der geografischen Lage, von klimatischen Bedingungen, aber auch von der Art des örtlichen Baumaterials.
Walsermuseum in Alagna/im Land
Festtagstrachten – d’ Hiachlaider
In Siedlungen der Südwalser findet man sehr oft so genannte Walserdörfer. Gemeint ist dabei eine Gruppe von Häusern, die an steilen Berghängen oder sonst irgendwo in der Nähe der Hauptsiedlung anzutreffen sind. In diesen Walserdörfern findet man eine im Alpenraum häufig anzutreffende Bauweise: gemauerter Unterteil mit Stall und Wohnräumen, darüber ein Holzbau mit großen Balken errichtet, und schließlich das Dach, mit dicken Schieferplatten eingedeckt. Gelegentlich sieht man auch vereinzelte Stadelbauten, die jeweils auf vier Holz- oder Steinträgern errichtet sind. So ist es für Mäuse und anderes Getier nicht möglich, in die Stadelbauten hineinzukommen. Bei den Walserhäusern fällt auch der sommerliche Blumenschmuck sehr positiv auf. Der eine oder andere Balkon würde zu Südtiroler Bauernhäusern passen, das eine oder andere Haus aus den Walsergebieten würde auf alle Fälle in unserer Landschaft ein besseres Bild machen als so mancher Betonklotz.
Trachtenhaube der Walser
Noa dar Mesch zam Patrunh Sent Jopuk – Nach der Messe für den Patron Sankt Jakob
Die Walsersprache
Der Schweizer Wissenschafter Paul Zinsli schreibt über die Walser: „Was immer in der Zerstreuung lebenden Menschen über Täler und Grate hinweg noch immer zu verbinden vermag, ist neben dem vereinzelt erhalten gebliebenen und nun wieder erweckten Bewusstsein der gemeinsamen Herkunft allein der Besitz einer in ihren Grundzügen gemeinsamen Sprache.“ Die Sprache also ist das feste Bindeglied zwischen den vielen Walsern und deren Siedlungen. Obwohl die Walser in einem relativ kompakten Territorium anzutreffen sind, haben sie sich sprachlich und kulturell ganz unterschiedlich entwickelt. Das hängt auf alle Fälle mit der politischen Entwicklung in den einzelnen Regionen ab. Für das Gebiet im südlichen Alpenraum bedeutet das, dass die Walser in Aosta als Minderheit in der Minderheit eine andere Stellung einnehmen konnten und können als etwa die Walser im Piemont. Aber eine unterschiedliche Entwicklung ist auch auf andere Faktoren zurückzuführen. So zum Beispiel auf die jeweilige Isolierung, aber auch auf die unterschiedlichen sprachlichen Kontakte, die die einzelnen Gemeinschaften im Laufe der Jahrhunderte zu haben pflegten. Sehr deutlich sieht man das im Lystal, wo zwischen den beiden Gemeinschaften von Gressoney und Issime zwei ganz unterschiedliche walserische Sprachformen vorhanden sind. Die Gressoneyer nennen ihre Sprache „Titsch“, die Issimer hingegen sagen „Töitschu“. Der sprachliche Unterschied ist so groß, dass das Walserkulturzentrum ein zweibändiges Wörterbuch herausgegeben hat, wobei das eine den Titel „Greschòneytitsch Wörterbuch“ und das andere den Titel „D’Éischemtöitschu“ trägt. Also zwei sprachlich ganz getrennte Walsersprachinseln in unmittelbarer geografischer Nähe.
Wie unterschiedlich die beiden Sprachformen sind, kann man dem Vaterunsertext entnehmen, wie er im Buch „Lebendige Sprachinseln“ wiedergegeben ist:
Greschòneytitsch | Eischemetöitschu |
Endsche Attò, das béscht é Hémmel, |
Ündschen Atte das bischt in hümmil
|
Das heißt auch, dass sich die beiden Gemeinschaften sogar auf mündlicher Ebene schwertun, einander zu verstehen und deshalb bei etwas komplexen Satzformen auf eine beiderseitig brauchbare Verständigungssprache ausweichen müssen; und die ist halt einmal Italienisch und nicht Standarddeutsch. Anders ist die Sprachensituation in der Schweiz und in Österreich. Dort sind die Menschen doch ganz stark mit dem Deutschen in Kontakt, so dass sich die Sprache eher halten konnte als in den Sprachinselsituationen in Italien.
Die vielen Walsersprachen sind unterschiedlich stark vorhanden und werden unterschiedlich stark verwendet. Die Spannbreite reicht vom täglichen Gebrauch in der Gemeinschaft – das trifft vorwiegend in der Schweiz, in Liechtenstein und in Österreich zu – bis hin zum teilweisen Vergessensein in einzelnen Walsersprachinseln südlich des Alpenhauptkammes.
Im Zusammenhang mit Sprachinseln wird sehr oft die Frage gestellt, ob die Sprache noch verwendet wird. Sergio Maria Gilardino schreibt in einer Abhandlung über die Sprachsituation in Alagna/Im Lande, dass die Wiederbelebung oder die Aufwertung von archaischen Minderheitensprachen nicht ein Phänomen der großen Masse sei, dass es aber notwenig sei, die Massen vom hohen Wert der eigenen Sprache/Kultur zu überzeugen. Und über die Jugend sagt er, dass diese sehr wohl internationale Sprachen lernen wollen, dass sie sich aber heute wieder mehr für die Sprache ihrer Vorfahren interessieren.
Sicherlich trägt da auch eine europaweite positive Einstellung zum Thema Minderheitenschutz und zur Erhaltung von Kleinsprachen bei. Somit findet man verbreitet Anstrengungen, das Walserische wieder aufleben zu lassen, in Italien wie in den anderen Staaten.
Die Internationale Walservereinigung
Die Walser haben sich zu einer großen kulturellen Dachorganisation zusammengeschlossen, nämlich zur „Internationalen Walservereinigung“. Sie hat ihren Sitz in Brig, im Walliser Land also, von wo aus die Walser vor Jahrhunderten ihre Wanderung in alle Himmelsrichtungen unternommen hatten. Der Vereinigung gehören Walserorganisationen aus allen fünf Staaten an. Und alle drei Jahre, erstmals vor fast 50 Jahren, treffen sich die Walser zum Großen Walsertreffen. 2007 fand es in Alagna/Im Lande im Piemont statt, 2010 wird es Triesenberg im Fürstentum Liechtenstein ausrichten. Da kommen sie für mehrere Tage zusammen die Walser in ihren bunten Trachten, um gemeinsam zu diskutieren, um Erfahrungen auszutauschen, um sich besser kennen zu lernen, um neue Freundschaften zu knüpfen, um gemeinsam das Walsersein zu feiern. Sogar Auslandswalser aus Übersee nehmen teil. Denn Walser ist nicht nur der, der in seiner Gemeinschaft das Walserische spricht und auch benutzt, sondern der sich von seiner Herkunft her als Walser versteht. Mehrere tausend Menschen treffen sich bei diesem Großereignis, dem größten Volksfest der Walser.
Die Walser in Italien – zahlreiche einzelne Sprachinseln
Bei den Südwalsern ist es ähnlich wie bei den Ladinern: Die Lystaler Walser leben in der Autonomen Region Aosta und konnten sich autonomiepolitisch relativ gut durchsetzen, die Walser in Piemont sind aufgrund jahrzehntelanger mangelnder Schutzbestimmungen arg ins Hintertreffen geraten. Wohl aber finden wir im Piemont eine ganze Reihe von kleinen Sprachinseln: Ganz im Norden an der Grenze zur Schweiz liegt die Ortschaft Formazza/Pomatt, weiter südlich Macugnaga/Makanah, Alagna/Im Land Rimella/Remmalju, Campello Monti/Kampel, Rima/ Rimmu, Carcoforo/Kirchof, Ornavasso/Urnafasch, und noch andere.
Diese Aufzählung ist sicher nicht vollständig, denn eines ist die Nennung der Orte, in denen das Walserische noch mehr oder weniger gesprochen wird, das andere hingegen ist die Nennung von Orten, in denen die Sprache zwar verschwunden ist, aber wo man sich bemüht, diese wiederum, zumindest in den Grundstrukturen, aufleben zu lassen. Aber die Menschen sind stolz drauf, sich als Walser zu bezeichnen, Walsertrachten zu tragen, Walserkultur zu pflegen. Ein besonderes Problem stellt für die Piemonteser Walser die geografische Lage der einzelnen Sprachinseln dar. Die Gemeinschaften sind voneinander abgeschieden, durch hohe Bergrücken oder tiefe Flussschluchten voneinander getrennt; um von der einen zur anderen Walsersiedlung zu kommen, muss man stundenlange Fußmärsche auf sich nehmen oder, falls mit Auto zurückgelegt, sehr lange Strecken über mühsam zu befahrende Bergstraßen bewältigen.
Z’ Kostüm Foto: Walserkalender 2008
Keine Schule in der Muttersprache
Ein leidiges Sprachinselproblem ist jenes der Schule. Für uns Südtiroler ist es selbstverständlich, dass es deutsche Schulen gibt, dass wir darin unsere Muttersprache lernen und gebrauchen können, von unserer Kultur und Geschichte erfahren können, es ist selbstverständlich, dass wir Lehrer deutscher Muttersprache haben. Ganz anders hingegen bei den deutschen Sprachinseln in Italien, wo es keine deutsche Schule gibt. Die Walser in Aosta und jene in Piemont sind hier nicht ausgenommen. Zwar wird hie und da Hochdeutsch unterrichtet, aber dieser Unterricht beschränkt sich auf einige wenige Wochenstunden. An anderen Schulen wird die Walsersprache vermittelt, natürlich auch wieder nur für einige Wochenstunden. Und man findet auch Situationen vor, in denen Deutsch/Walserisch lediglich außerhalb der Schulstunden angeboten wird. Und zudem gibt es selten Lehrer, deren Muttersprache Deutsch ist. Leichter anzutreffen sind da schon Personen mit guter Kenntnis der Ortssprache. Teilweise wird beklagt, dass die Sprache in der Gesellschaft selbst eine unbedeutende Stelle einnimmt, dass in der Schule Englisch oder auch Französisch dem Walserischen oder auch dem Deutschen vorgezogen wird, dass von manchen Personen die Notwendigkeit der Erhaltung und Förderung der Muttersprache nicht mehr als eine Grundvoraussetzung für den Weiterbestand der Minderheit gesehen wird. Aber trotzdem, fast überall findet man Anstrengungen, das Walserische wieder aufleben zu lassen.
Wanderhandel auch bei den Walsern
Ähnlich wie die Sprachinseln Fersental und Gottschee übte auch Gressoney den Wanderhandel aus. Das Leben in den Bergen war wohl sehr hart, der Boden karg, das Überleben nicht immer leicht. So suchten auch die Walser aus dem Lystal nach Zusatzeinnahmen und fanden ihr Glück im deutschsprachigen Ausland. Mit ihrer „chrèzo“ (Kraxe) durchwanderten die Händler vor allem die Schweiz, aber auch Vorarlberg wurde mit einbezogen, und manche Krämer wanderten bis nach Bayern.
Dank ihrem Fleiß, ihrer Tüchtigkeit und Sparsamkeit gründeten die Gressoneyer Händler im Laufe der Jahre blühende Geschäfte in Zürich, Winterthur, St. Gallen, Luzern und anderen Städten. Als starke und geschäftstüchtige Konkurrenz waren sie nicht überall gern gesehen, es wird sogar berichtet, dass ihnen einzelne Schweizer Städte den Handel zu unterbinden versuchten, um nicht die stadteigene Handelstätigkeit in Schwierigkeit kommen zu lassen.
Walserisch in Italien heute
Wie die zahlreichen anderen deutschen Sprachinseln in Italien haben es auch die walserischen Sprachgemeinschaften nicht leicht, ihre Sprache und ihre Kultur zu erhalten, zu pflegen und weiterzugeben. Die lang anhaltende staatliche Politik, nur das Italienische als offizielle Sprache zuzulassen, die Zwangseinführung einsprachiger italienischer Schulen und die daraus erwachsende kulturelle Bedeutungslosigkeit der Walsersprache sind nicht spurlos an den Gemeinschaften vorübergegangen.
Das Walserische ist in die Bedeutungslosigkeit gerutscht, von den Menschen oft nicht mehr geschätzt, teilweise sogar als minderwertig angesehen worden. Walserisch wurde als eine Sprache der Armut, der wenig Gebildeten, der Kulturlosen angesehen. Verständlich, dass es mit der Sprache abwärtsgehen musste. In den Bergdörfern kam dann die Abwanderung dazu, damit verbunden die Auflassung von Schulen, die Veralterung der Bevölkerungsstruktur, der Mangel an Arbeitsmöglichkeiten. Auch der Tourismus wirkt sich auf das Sprachverhalten einer Minderheitsbevölkerung aus. Bei den Südwalsern beträgt der Anteil der italienischen Touristen bis zu 90 %, somit spielt das Walserische auf dieser Ebene kaum eine Rolle. Es stellt sich nun die Frage, ob auch das Walserische, so wie die Sprachen anderer Sprachinselgemeinschaften, zu jenen 6000 Sprachen der Welt gehört, die vom Aussterben bedroht sind und somit unwiderruflich verloren sein können. Wissenschafter meinen, dass 20.000 Sprecher die kritische Zahl sei, unter welcher eine Sprache bedroht ist. Bei den Südwalsern dürfte die Sprecheranzahl schätzungsweise kaum 1500 erreichen, somit scheint diese Minderheitensprache in höchster Gefahr zu sein. Aber es gibt auch neue Hoffnung. Das Bewusstsein, an der Sprache der Ahnen ein wertvolles Kulturgut zu haben, ist neuerdings vor allem bei den Jungen erwacht, vor allem bei solchen, die sich mit großen europäischen Sprachen befassen. Wissenschafter, vor allem aus dem alemannischen Sprachraum, bieten ihre Hilfe an, sei es auf der Ebene der Forschung als auch auf der Ebene der sprachwissenschaftlichen Unterstützung, alte walserische Bezeichnungen finden Eingang in der örtlichen Namensgebung, walserische Sprachformen werden im bescheidenen Alltagsleben wieder verwendet, wenn auch manchmal noch zaghaft, die Fülle von Publikationen in Walserisch und für das Walserische ist schier unüberschaubar.
Z’ lammeroffrò dem Sent Johanns – Opferlämmer für den heiligen Johannes
Foto: Walserkalender 2008
Der Walsersprachforscher Sergio Maria Gilardino meint in einer Abhandlung, dass nicht unbedingt jedermann in der Sprachinselgemeinschaft täglich die bereits gefährdete Sprache verwenden muss, wohl aber ist es notwendig, dass jedermann die Bemühungen um die Erhaltung und Förderung der Sprache und Kultur unterstützt.
Das Umschlagbild auf dem Buch „Lebendige Sprachinseln“ ist von der jungen Walser Künstlerin Desy Napoli als „Die Mühsal des Aufstiegs“ bezeichnet worden. Der sprachliche und kulturelle Aufstieg ist allemal mühsam. Aber als Volk der Alpen scheinen die Walser in ihrem Einsatz für ihre Sprache auf gutem Wege zu sein.